Nach dem Einstellen der Ventile schnurrt der Busmotor wie ein handgekraueltes Kätzchen am Ofenrohr und das auf etwa der Höhe des Matterhorns. Warum also nicht noch einen Abstecher in die südbolivianischen Anden wagen, bevor wir die Höhe verlassen und ins Tiefland abgleiten. Ein bischen unsicher sind wir schon, schliesslich haben wir von anderen Reisenden über dieses Gebiet schon sagenumwobene Geschichten gehört: gestürtzte Motorradfahrer, Reifenschäden jeder Art, Achsbrüche, Motorschäden, Tankexplosionen bis hin zu ganz verschollenen Geländewagen.
"4x4 braucht ihr schon!" ruft man uns in La Paz noch hämisch hinterher. Wir haben zwar nur 4x2 unter dem Bus, dafür aber 8x4 im Bus - das sollte reichen. Vollepulle geht es also von La Paz nach Potosi, dem Ausgangspunkt unserer Tour. Mit gedrückten Daumen vorbei am oberen Motortotpunkt aus dem Jahre 2006. Das ist tatsächlich fast genau ein Jahr her.
In Potosi steigen wir in der Residencial Tarija ab. Ein trostloser Innenhof, schmuddelige Zimmer und das Klo muss man nicht suchen, man riecht es bereits von weitem. Bolivien eben und wir sind froh, im Bus schlafen zu können. Schon hier fallen uns die grossen achtsitzigen Geländewagen mit den hochgepackten Dachgepäckträgern und den monströs profilierten Reifen auf. Ein scheuer Blick auf unsere Pneus zeigt an den abgefahrenen Innenkannten der Vorderreifen eine permanente Überlastung der Vorderachse. Oder ist der Sturz falsch eingestellt? TÜV gibt es hier zum Glück nicht, aber wir können auch nicht vier Ersatzreifen mitnehmen. Ein bischen mulmig ist uns schon bei dem Gedanken an die lange Schotterpiste, zumal die Halteschrauben an unserem Ersatzrad auch schon bis zur Unkenntlichkeit verrostet sind.
In unserer Strassenkarte ist das Gebiet, in das wir wollen, etwa so genau wie Deutschland auf einer Weltkarte eingezeichnet. Eine genauere Karte bekommen wir in Potosi aber auch nicht. Hier werden nur komplette Touren verkauft. Aber immerhin haben wir ja einen Kompass. Der Blick auf die Geländewagen verrät uns: wir brauchen Essen, Wasser und äh Spritt, Spritt und nochmals Spritt. Nach zwei Tagen haben wir alles beisammen und rollen langsam zum vorerst letzten Tankstop.
166 Liter Sprit können wir fassen, der Tankwart bringt 168 Liter rein. Soviel, dass der kostbare Saft wieder aus den Tankentlüftungsleitungen oben bei den Lufteinlässen in den Motor tropft. Selbstzündender Motor - witzeln wir zum Tankwart, der unglaubwürdig auf die Benzinlache unter dem Auto schaut. Was haben sich die VW-Ingenieure eigentlich dabei gedacht? Ein grösserer Tank wäre eindeutig besser gewesen. Vor dem Starten schieben wir den Bus sicherheitshalber von der Tankstelle weg.
Kurz hinter Potosi endet die Teerstrasse und das Abenteuer beginnt. Auf den ersten 200 Kilometern eine Landschaft wie aus einem Wildwestfilm. Kakteen, bizarre Felsformationen und Canyons. In Pulacayo ist dann auch der Zug, der einst von Butch Cassidy und Sundance Kid überfallen wurde, zu sehen. Allerdings nicht mehr ganz so schön wie damals im Film.
Kurz vor Uyuni dann noch eine der üblichen Militärkontrollen. Man will Name, Fahrzeugdaten und die Nummero de Licencia wissen. Der Einfachheit halber tragen wir selbst ein: James Bond, Austin Martin und 007-4711-0815. Keiner merkts, keiner brauchts. Die Schranke öffnet sich. Wir fantasieren noch lange darüber, was die Militärs mit diesen Daten machen. Ob sie der CIA zugespielt werden? Die Amerikaner sammeln ja seit Neuestem alle möglichen unsinnigen Daten.
In Uyuni dann ein kurzer Stop. Dummerweise hatten wir Klopapier vergessen und ausserdem füllen wir die Tanks noch einmal auf. Die Nacht verbringen wir auf einem alten Eisenbahnfriedhof ganz in der Nähe. Hier stehen einige der grössten Dampflokomotiven der Welt und rosten vor sich hin. Ein toller Spielplatz für Elias. Wir finden eine einzelne freirollende Antriebsachse mit der wir zur Freude von Elias Blechdosen zerquetschen und Steine pulverisieren.
Die nächsten Tage verbringen wir mit Fahren. Autobahnähnlich ausgebaute Schotterpisten, Sand- und Steinpisten, wellblechartig deformierte Pisten und zwischendurch immer wieder Flussdurchfahrten. Parkinsonartig nehmen wir die Landschaft war und immer wieder beobachten wir Schrauben, die sich selbständig aus der Karosserie drehen. Fiktion und Wirklichkeit scheinen sich zu verschütteln. Vielleicht aber auch ernsthafte Anzeichen der Höhenkrankheit.
Wir steuern eine Felsformation, vor der sieben Geländewagen stehen, an. Die Insassen mit heruntergefallenen Kinnladen und ausgestreckten Zeigefingern. Nie war es erotischer aus einem VW-Bus zu steigen. Hier wohl das einzige zweiradgetriebene Fahrzeug im Umkreis von etwa 1200 Quadratkilometern. Vor Sonnenuntergang, der schönsten Zeit hier, verlassen uns die Tourgruppen. Wir sind alleine und opfern mehrere dutzend Büsche der bolivianischen Puna für ein akzeptables Lagerfeuer. Noch sind wir nicht am Ziel, aber schon fühlen wir uns siegessicher. Mit den warmen Steinen vom Lagerfeuer im Auto steigt uns der Geruch von Schwarzwälder Schinken in die Nase und wir träumen uns ins Guinnesbuch der Rekorde.
In der nächsten Wasserdurchfahrt ist Schluss mit lustig. Wie aus dem Nichts schiesst mitten aus dem Fluss völlig unerwartet eine riesige Wasserwand empor und bremst den Bus, der gleichzeitig mit dem vorderen Unterboden schmirgelnd und kratzend auffährt, abrupt ab. Danach Totenstille bis auf die kleinen Eisschollen, die im aufgewühlten Wasser schadenfroh klickern. Hinter Katrins vorgehaltener Hand erahne ich Ihren weit aufgerissenen Mund. Aus Ihren erschrockenen Augen lese ich: "mach den Motor an, mach den verdammten Motor an". Aus verbissener Entschlossenheit drehe ich fast den Zündschlüssel ab, bis der Motor nach einer Ewigkeit endlich wieder anspringt. Sabbernd glitscht der Keilriemen durch das Wasser, rauchgefüllte Blasen steigen da auf, wo der Auspuff zu vermuten ist. So tief sind wir also! Vorwärts geht nix, wir stecken auf einer riffartigen Sandbank etwa so hoch wie zwei Bordsteinkannten. Rückwärts geht auch nix, magnetartig wird der Bus vom Schlamm festgehalten.
Wasser steht bereits im vorderen Fussraum. Abwechselnd betätigen wir das Gaspedal, sonst stirbt der Motor bei den niedrigen Drehzahlen ab. Wir schaufeln, schieben Büsche unter (was weder etwas an Traktion noch an Auftrieb bringt), versuchen den Fluss umzuleiten, trösten Elias, der mittlerweile den Ernst der Lage erfasst hat und verbringen hilflose Stunden im Eiswasser auf 4300 Metern Höhe, bis endlich die ersten Geländewagen auftauchen. Tourgruppen steigen eiligst aus, Kameras klicken. Nie war es unerotischer in einem VW-Bus zu sitzen. Zu einem Interview war ich diesmal nicht bereit. Nach fast einer Stunde gelingt es dem vierten Geländewagen uns herauszuziehen - auch sie haben auf dieser Höhe Probleme mit der Leistung. Wir sind wieder frei. Hochmut kommt eben vor dem Fall. Ab hier kontrollieren wir wieder jedes Wasserloch auf dem Weg und sei es eine noch so kleine Pfütze....
4 Ortschaften und 370 Kilometer hinter Uyuni, kurz vor der chilenischen Grenze erreichen wir unser Ziel - die Laguna Verde. Im See ein hoher Gehalt an Blei, Cadmium und Schwefel. Das im See enthaltene pflanzliche Plankton färbt sich gegen die Mittagszeit grün. Das würde uns nicht anders gehen. Ein tolles Naturschauspiel. Morgens früh ist der See tatsächlich noch glasklar, mittags dagegen grün.
Trotz der eisigen Kälte von etwa -20 Grad (morgens früh um halb 8 sind es noch -15 Grad) bleiben wir zwei Nächte. Schweisskristalle bilden einen milchigen Vorhang auf der Innenseite der Fensterscheiben. Auf den Kissen sind die Träume der Nacht gefroren und der Bus ist sicher um einige Zehntelmillimeter geschrumpft. Der Anlasser inklusive dem Magnetschalter ist mittags noch festgefroren. Erst ein Feuerzeug und das Kurzschliessen mit einer Zange schaffen Abhilfe.
Auf der Rückfahrt nehmen wir erst einmal ein entspannendes Bad in den 40 Grad heissen Thermas de Chalviri. Weiter geht es in Richtung Laguna Colorado. Vorbei an Geysirfeldern, die aber abgeschaltet zu sein scheinen. Lohnt sich nicht, den Dampf sieht man nur im Morgengrauen bei eben -15 Grad. Umso schöner dagegen die Laguna Colorado. Kupferhaltige Mineralien färben den See rot, dazwischen weisse Inseln aus Borax. Seltene Andenflamingos sind zu beobachten. Am westlichen Seeufer rot, am östlichen Seeufer tot. Das Wasser scheint auf die Dauer ungesund zu sein.
Nach 10 Tagen sind wir wieder in Uyuni und treffen dort Alex, David, Cosma und Jürgen. Ihr riesiges Mercedes Allradmobil gleicht gegenüber unserem Bus einer rollenden Dreizimmerwohnung mit Ofenheizung. Zusammen geht es noch einmal auf den Salzsee. Hier können wir dann zusehen, wie sich ein Allradfahrzeug eingräbt. Schaufeln bringt nicht viel, es werden zwei Sattelschlepper zum Herausziehen benötigt. Nach dem gemeinsamen Bergen erkunden wir noch eine Insel im Salz auf der 1200jährige Kakteen wachsen. Dann trennen sich unsere Wege. Schön war es - Gruss an Euch alle.
Auf der Rückfahrt nach Potosi reisst dann plötzlich der hintere Stossdämpfer ab. Unser Tribut an die Wellblechpiste. Trotzdem erreichen wir Potosi - wir haben es geschafft. Am Unterboden kleben mehrere Kilogramm Salz, die jetzt dringend abgewaschen werden müssen. Irgendwie war der See diesmal weicher...
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